Heute kann man es sich vielleicht kaum mehr vorstellen, doch noch vor wenigen Jahrzehnten war Single Malt Scotch Whisky zumindest außerhalb von Schottland praktisch unbekannt! Stattdessen waren Blended Whiskys der Renner, die sich freilich auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen und mit Marken wie Johnnie Walker, Chivas Regal und Dimple, um nur einige zu nennen, nach wie vor einen großen Anteil am internationalen Whisky-Markt haben.
Die Gründe für die Beleibtheit der Blends liegen in der früheren Qualität der Single Malt Whiskys: Noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren diese zumeist sehr stark, reichlich getorft, rau, unausgewogen und für anspruchsvollere Gaumen kaum akzeptabel. Hinzu kam, dass die Qualität von Abfüllung zu Abfüllung wegen vergleichsweise primitiver Produktionsmethoden sehr stark schwankte. – Und die heute übliche Reifung von Whisky über lange Jahre in kleinen Eichenfässern war noch praktisch unbekannt: Whisky wurde meist für den Eigengebrauch gebrannt und so getrunken, wie er aus der Destille kam. Kaum jemand kam auf die Idee, dass diese Spirituose durch eine Lagerung in Eichenfässern an Qualität gewinnen könnte! Wer sich damit nicht anfreunden konnte, der versuchte meist, den Whisky durch Zugabe von Honig, Milch oder anderen Zutaten milder zu gestalten, was, nebenbei gesagt, zur Erfindung der auch heute noch bekannten Whisky-Liköre führte.
Die Händler freilich, die meist gewöhnliche Krämerläden führten, in welchen der Whisky nur eines von vielen Produkten war, blieben oft genug auf ihren Vorräten sitzen und mussten sich anhören, dass ihre Kunden den Whisky ablehnten, da er ihnen zu stark und zu roh war. Was also mit den schwer verkäuflichen Lagerbeständen anfangen?
Drei Gemischtwarenhändler namens John Walker, George Ballantine und die Brüder James und John Chivas machten ungefähr gleichzeitig aus der Not eine Tugend: Der erste im nur wenige Kilometer südlich von Glasgow in Westschottland gelegenen Kilmarnock, George Ballantine in Edinburgh am Firth of Forth, einem Meeresarm an der schottischen Ostküste, und die Chivas-Brüder im viel weiter nördlich gelegenen Aberdeen. Alle kamen, wohl unabhängig von einander, um das Jahr 1850 auf die Idee, mehrere Single Malt Whiskys miteinander zu verschneiden in der Hoffnung, dass das Ergebnis gefälliger und weniger kratzig ausfallen würde als jeder einzelne der verwendeten Grundwhiskys.
Zur Hilfe kam den „Erfindern“ eine neue Technik, die 1826 von dem Schotten Robert Stein erfunden und 1831 von dem irischen Ingenieur Aeneas Coffey perfektioniert worden war. Es handelte sich dabei um ein Verfahren der kontinuierlichen Destillation in einer Säulenbrennanlage, die als Coffey Still, Column Still oder Patent Still bekannt wurde. Diese heute am weitesten verbreitete Destillationsanlage funktioniert im Prinzip wie eine Reihe mehrerer hintereinander geschalteter Pot Stills und vermag in einem Arbeitsschritt ein Destillat mit wesentlich höherem Alkoholgehalt zu erzeugen, als dies mit einer herkömmlichen Pot Still-Anlage möglich wäre. Den viel geringeren Unkosten steht freilich eine weniger anspruchsvolle Qualität des fertigen Destillats gegenüber, weshalb ein Single Malt Scotch Whisky per Gesetz ausschließlich in einer traditionellen Pot StillAnlage mit Kupferbrennblase gebrannt werden darf.
Diese Einschränkung gilt jedoch nicht für Grain Whisky, der nicht aus gemälzter Gerste (malted barley), sondern aus ungemälztem Getreide gebrannt wird. Ein solcher Whisky ist weniger anspruchsvoll im Geschmack, von leichterem Charakter und milder als seine Vettern, die Single Malts.
Der Kunstgriff der ersten Blender war es nun, neben verschiedenen Single Malts auch einen gewissen Anteil von Grain Whisky in ihre Blends einzubeziehen. Auf diese Weise gelang es ihnen, nach vielen mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen die richtige Mischung herauszufinden, in welcher die verschiedenen Charaktereigenschaften der unterschiedlichen Whiskys sich gegenseitig zu einem milderen Ergebnis zu ergänzen vermochten, indem sie sich gegenseitig die extremen Spitzen nahmen. Dieses Verschnittverfahren wurde als „Blending“ bekannt, die so entstandenen „gemischten“ Whiskys als „Blended Whisky“.
Offiziell verkauft werden konnte Blended Whisky freilich erst nach dem „Spirit Act“ von 1860, der die Vermarktung von Blended Whisky überhaupt erst erlaubte. Der erste offiziell auf den Markt gebrachte Blended Scotch Whisky war 1865 der „Walker’s Old Highland“ von John Walker, dem bald die Blends von George Ballantine und jene der Chivas Brothers folgten. Schon wenige Jahre später war Blended Whisky so beliebt, dass er nicht nur in ganz Großbritannien, sondern auch auf den internationalen Märkten im wahrsten Sinne des Wortes „einschlug wie eine Bombe“!
Aus dem „Walker’s Old Highland“ wurde schließlich der „Johnnie Walker“, der bis heute meistverkaufte Scotch Whisky der Welt, und auch der nach seinem Erfinder „Ballantine’s“ genannte Blend sowie der Chivas Regal der Chivas Brothers konnten sehr erfolgreich am Markt platziert werden. Weitere erfolgreiche Blends waren und sind Marken wie „The Famous Grouse“ und „Cutty Sark“ sowie der „Dimple“ von John Haig. Alle Blended Whiskys zusammen stellen auch heute noch, trotz der grandiosen Renaissance der Single Malt Whiskys, einen Anteil von über 80 % am weltweiten Scotch Whisky-Markt!
Die heute weit verbreitete Meinung, beim Blended Whisky handele es sich um ein minderwertiges Produkt, entbehrt übrigens jeglicher Grundlage: Die großen Blends werden aus mehreren hochwertigen Single Malt Whiskys komponiert, bisweilen unter Beifügung unterschiedlicher Anteile von Grain Whisky. Nicht selten sind 30, 40 oder noch mehr so genannte „Grundwhiskys“ beteiligt, die vom Master Blender des Herstellers nach einem geheim gehaltenen Rezept und unter Berücksichtigung der Charaktereigenschaften jedes einzelnen Grundwhiskys zusammengestellt werden. Meist spielt ein bestimmter Single Malt Whisky eine besonders wichtige Rolle, er wird deshalb als „Lead Whisky“ bezeichnet und trägt ganz wesentlich zum Charakter des fertigen Blends bei. Ein gutes Beispiel dafür ist der zwölf Jahre alte Single Malt Whisky der Brennerei Caol Ila auf Islay, der als Lead Whisky im Johnnie Walker Black Label deutlich zu erkennen ist.
Da also ein Blended Whisky das Ergebnis eines Zusammenspiels guter Grundwhiskys ist, die sich gegenseitig zu einem harmonischen Ganzen ergänzen, ist ein guter Blended Whisky mit Sicherheit nicht von minderer Qualität und gerade für Whisky-Anfänger eine ideale Möglichkeit, sich dem Thema Whisky zu nähern, ohne gleich von einem zu heftigen Single Malt förmlich „abgeschreckt“ zu werden!