Beinahe 100 Jahre lang war „Scotch Whisky“ auf der ganzen Welt gleichbedeutend mit „Blended Whisky“. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatten findige Ladenbesitzer wie John Walker, George Ballantine und die Chivas-Brüder, um nur einige zu nennen, auf die Wünsche ihrer Kunden reagiert. Diese hatten wenig Interesse an den damals sehr ungeschliffenen und scharfen Single Malts, und außerhalb Schottlands führte der Whisky sowieso ein Schattendasein: Wer etwas auf sich hielt, trank Cognac oder Brandy! Die eben genannten Pioniere erfanden deshalb das „Blending“ genannte Verfahren, aus mehreren Single Malts und auch Grain Whiskys angenehmere und elegantere Blends zu schaffen, die ihren Siegeszug um die Welt antraten, nachdem die Reblaus um 1860 große Teile der europäischen Weinberge zerstörte und der Nachschub an Weinbränden knapp wurde.
Noch bis weit in die 1970er Jahre standen Namen wie etwa „Chivas Regal“, „Dimple“, „Johnnie Walker“ für guten schottischen Whisky, was durch die Kreation von Luxusblends aus alten Single Malts noch verstärkt wurde. Außerhalb Schottlands interessierte sich praktisch niemand für Single Malt Whisky!
Wie 100 Jahre zuvor, waren es auch diesmal wieder weitsichtige Leute, die den Anstoß zur Renaissance der Single Malts machten, Leute mit Visionen und Überzeugung, die den unverschnittenen schottischen Whiskys das Tor zur Welt öffneten.
An erster Stelle stand Sandy Grant Gordon, der Enkel von William Grant, welcher 1886 eine Whisky-Brennerei in der Speyside gegründet hatte, die nach dem Fluss benannt worden war, an dem sie erbaut worden war: „Glenfiddich“ bedeutet nichts anderes als „Tal des Fiddich-Flusses“! Die Destillerie gehört bis heute zur Firma „William Grant & Sons“ und ist damit eine der wenigen schottischen Brennereien, die sich immer noch in unabhängigem Besitz befinden.
Bereits 1957 hatte Glenfiddich damit begonnen, seinen Whisky in außergewöhnliche Flaschen abzufüllen, die durch ihre charakteristische dreieckige Form einen hohen Wiedererkennungswert garantierten. Bis heute wurde die Flaschenform beibehalten, sie gilt als eines der erfolgreichsten Markenzeichen in der Welt des Whiskys. Sandy Grant Gordon wagte sechs Jahre später, 1963, einen Schritt, der damals von vielen belächelt und als offenkundige Sackgasse mit null Erfolgschancen betrachtet wurde: Die Vermarktung von Single Malt Whisky auch außerhalb Schottlands und auf dem internationalen Markt!
Die Grant-Familie wagte damals wohl selbst nicht davon zu träumen, welche Konsequenzen dieser Schritt nach sich ziehen sollte! Und dass sich dieser Erfolg einstellte, liegt nicht nur an der dreieckigen Flasche und einem auch ansonsten geschickten Marketing, sondern vor allem an den Künsten von David Stewart, der ebenfalls 1963 in die Dienste der Grant-Familie eintrat. Nach einer sieben Jahre dauernden Ausbildung wurde er Master Blender von Glenfiddich, eine Stellung, die er bis heute innehat, womit er der am längsten dienende Master Blender ganz Schottlands, wenn nicht sogar der Welt, ist.
Warum aber braucht man bei Glenfiddich überhaupt einen „Master Blender“, wo es sich doch um Single Malt Whisky handelt? Es sollte doch die Bewegung weg vom Blended Whisky erfolgen?
Die Antwort ist ganz einfach: Single Malt Whisky stammt zwar aus einer einzigen Brennerei, es handelt sich jedoch in den meisten Fällen um eine Spirituose, die aus verschiedenen Fässern komponiert wird. So gesehen, ist auch Single Malt Whisky in den allermeisten Fällen immer noch ein „Blend“, nur dass dieser ausschließlich aus Grundwhiskys einer einzigen Destillerie handelt. Dem Verfahren bei den Blended Whiskys nicht unähnlich, braucht man einen Master Blender mit sehr viel Erfahrung, um aus den vielen Fässern des Lagers einer Brennerei einen marktfähigen Whisky von konstanter Qualität und gleichbleibendem Charakter zu komponieren: Ein 12 Jahre alter Cragganmore zum Beispiel soll heute genauso schmecken, wie in zehn Jahren – dasselbe gilt natürlich für alle anderen Destillerien genauso! Der Master Blender wählt aus oft vielen hunderten, wenn nicht gar tausenden von Fässern jene aus, die für das zu erzielende Ergebnis am geeignetsten sind.
Grundsätzlich gilt bei Whiskys mit Altersangabe, dass alle beteiligten Grundwhiskys mindestens so alt sein müssen, wie auf dem Etikett angegeben wird: Ein 21 Jahre alter Balvenie ist also eine Komposition aus verschiedenen Fässern der Balvenie-Destillerie, deren jüngstes Whisky enthält, der wenigstens 21 Jahre reifen durfte.
Auch die immer beliebter werdenden Vintage Malts werden in aller Regel vom Master Blender aus verschiedenen Fässern zusammengestellt, die allerdings alle Whisky enthalten müssen, der im selben Jahr destilliert wurde. So ist zum Beispiel der Glenfarclas Vintage 1995 ein Single Malt, dessen Glenfarclas Grundwhiskys alle im Jahr 1995 destilliert wurden.
Eine Ausnahme bilden lediglich die Single Cask Whiskys, die tatsächlich aus nur einem einzigen Fass, und damit aus einem einzigen Brennvorgang, stammen. Hier hat der Master Blender praktisch nichts zu tun, als die Qualität abzuschätzen und zu beurteilen, ob der Inhalt des Fasses eine Qualität hat, die eine erfolgreiche Vermarktung erlaubt. Der fertig abgefüllte Whisky trägt dann auf dem Etikett die Nummer des Fasses und meist sowohl das Datum der Destillation als auch jenes der Abfüllung. Selbstverständlich unterscheidet sich dann jede Abfüllung von allen anderen, da sie die Charakteristik des einzelnen Fasses wiedergibt.
Nun aber zurück zur Renaissance der Single Malt Whiskys: Glenfiddich verkaufte 1964, im ersten Jahr nach der Markteinführung des Single Malts, etwa 4.000 Kisten weltweit. Das war nicht viel, und die Unkenrufer schienen wieder einmal Recht zu behalten. Doch schon 10 Jahre später, 1974, konnten gut 120.000 Kisten abgesetzt werden, und spätestens jetzt merkte auch die Konkurrenz, dass hier eine neue Möglichkeit der Vermarktung aufgetan wurde!
Die Altersangabe eines Whiskys steht immer für den jüngsten enthaltenen Whisky.
Der zweite wichtige Schritt erfolgte 1988, als United Distillers, ein Zusammenschluss verschiedener Abfüller schottischer Whiskys und der Guinnes-Brauerei, damit begann, eine „Classic Malts Selection“ zu kreieren, die aus zunächst sechs verschiedenen Single Malt Whiskys bestand. United Distillers ging 1997 in Diageo auf, dem weltgrößten Spirituosenkonzern, dem praktisch unbegrenzte Möglichkeiten des Marketings zur Verfügung standen.
Und inzwischen war die Welt auf den Geschmack gekommen und es fanden sich immer mehr Liebhaber für die wohl abwechslungsreichste Spirituose der Welt, deren Facettenreichtum Kenner und Sammler immer wieder aufs Neue begeistert! Selbst wenn auch heute noch 90 % des weltweit verkauften Whiskys Blends sind, so sind es doch die Single Malts, die den Whisky zur berühmtesten Spirituose der Welt gemacht haben!